Umzug nach Dänemark

Das unheimliche Haus

In unserer Straße, ganz am Ende eines kleinstädtischen Vorortes, befinden sich vierzehn Einfamilienhäuser.

Alle mit Garten, allesamt älteren Baujahrs. Unser Haus ist 1980 erbaut worden, die anderen dürften in etwa auch aus der Zeit sein. Hinter unserem Garten befindet sich eine Kuhweide inmitten einer hügeligen Seenlandschaft. Zumindest sieht das so aus, als wäre da der eine oder andere Weiher, wir müssen erst mal auf die warmen Monate warten, um das genau zu sehen. Hübsch ist es allemal bei uns und wir brauchen keine fünf Minuten, um entweder im Nichts oder in der Stadt zu sein.

Unsere Nachbarn sind mindestens so alt wie wir, eher etwas älter. Definitiv leben bei uns die jüngsten Kinder, denn die Kinder von schräg gegenüber sind nur Tagespflegekinder. Die sind hier nur beim „aabeitn“ 🙂

Wir durfen überwiegend alle benachbarten Menschen kennen lernen und freuen uns schon darauf, Anfang Juni mit ihnen ein Straßenfest zu feiern. Im Emailverteiler unserer Straße sind wir auf alle Fälle bereits drin.

An der Einfahrt der Straße wohnt der musikalische Poul mit seiner Familie. Er ist der Organisator und die gute Seele des Viertels. Alle kennen ihn. Und ich glaube auch, dass ihn alle mögen. Er ist so ein netter Mann mit sehr netter Familie und bereits am Einzugstag saßen der Preußenbayer und Rotfrau bei ihm in der Küche auf einen Begrüßungskaffee! Sein Sohn ist in Preußenbayers Klasse und die beiden vertragen sich gut. Poul schippt für das ihm gegenüber wohnende alte Ehepaar Schnee. Ich habe bislang nur den Opa am Briefkasten begrüßen können. Neben Poul wohnt ein gehbehinderter Mann, der seinen Hund täglich mit einem elektrischen Rollstuhl ausführt. Er ist grantelig, unterhält sich aber bereitwillig. Seine Familie kenne ich nicht. Direkt gegenüber von uns wohnt ein Ehepaar in Rente. Sehr freundlich und auch schon mal gesprächsbereit. Sie haben vermutlich einen Zweitwohnsitz, weil sie die vielen Wochen während der Einfahrtreparatur – Rotfrau berichtete – nicht hier waren! Neben ihnen wohnt die städtische Tagesmutter, deren Mann den ganzen Tag vor dem Computer sitzt. Vermutlich arbeitet er von zu Hause aus, ihn habe ich bislang nur durchs Fenster gesehen. Daneben wohnt ein zauberhaftes Ehepaar: er ein verrenteter Sozialpädagoge, sie eine agile Hundebesitzerin, die sich sehr darüber freut, dass wir unseren Kindern die Vuggestue mit geschultem Personal ermöglichen, anstatt sie zu „der Tagesmutter“ zu schicken. Sie benutzte kein Adjektiv, rollte aber theatralisch die großen Augen. Die Menschen, die in den vier Häusern im Wendehammer wohnen, kennen wir nicht. Sie winken aber sehr freundlich, wenn sie an uns vorbeifahren.

Rechts neben uns wohnen Jan und Mie mit ihren zwei fast erwachsenen Kindern. Sie sind in unserem Alter, sehr freundlich und hilfsbereit. Ich denke darüber nach, sie im Sommer zum Grillen einzuladen.

Ein Haus ist übrig.

Wer darin wohnt, das wissen wir nicht. Wir haben sie nie gesehen. Noch nie!

An Weihnachten war jedenfalls ein sehr netter Mann (zwischen 25 und 30) mit seinen Kindern zum Feiern da. Er unterhielt sich mit uns, während er sein Auto freikratzte. Weder seine Eltern, noch seine Kinder bekamen wir zu sehen, obwohl wir noch lange draußen waren! Der Preußenbayer behauptet, dass aus dem Haus auch ein Schulkind rauskäme: jugendlich und schweigsam. Unterhält sich nicht mit ihm und seinem Freund, schließt sich ihnen auf dem Weg zum Bus nicht an.

Rotfrau hat schon mal einen vermummten jungen Mann hinter den Hecken verschwinden sehen, Preußenbayer meint aber, es sei ein Mädchen.

Nachbar - KopieWenn wir aus dem Fenster gucken, sehen wir direkt auf eine grün bemooste Mauer. Kein Haus hat hier eine Mauer um das Grundstück. Nicht mal Zäune sind in dänischen Wohngebieten verbreitet.

Aber dieses Haus verkriecht sich hinter einer ehemals weißen Mauer. Hinter riesigen Tannenbäumen und meterhohen Buchen. Das wellige Eternitdach (hat hier fast jedes zweite Haus, ist hier nicht ungewöhnlich) zieht sich tief bis zur Erde herunter und lässt nur wenig Platz für die dunklen Fenster. Es gibt eine moosige Tür. Kann man da überhaupt reingehen? Wer wohnt denn da? Soll ich mal klingeln und „Hallo“ sagen?

Wäre ich noch ein Kind, so wäre das ein Haus, vor dem ich mich fürchtete. Es sieht einfach irgendwie unheimlich aus!

Dieses Bild habe ich bereits Weihnachten gemacht, als ich vergeblich nach Beleuchtung oder Festlichkeit gesucht habe. Es wohnt schon jemand drin, denn alle Fenster sind morgens und abends hell erleuchtet. Als fürchteten sich die Bewohner selbst vor der unheimlichen Ausstrahlung ihres Eigenheims….

Vielleicht wird sich das ja jetzt bald ändern. Wenn die Sonne und die Wärme wieder zurück kommen. Und beide sind hier nicht mehr weit. Während unsere Freunde uns immer wieder schneeweiße Bilder schicken, gucken wir im hohen Norden bereits auf die ersten weißen Köpfchen der Schneeglöckchen:

Frühling - Kopie

Wir haben heute übrigens den 10. Februar!

Die Skandinavier pflegen sich in den hellen Monaten überwiegend draußen aufzuhalten. Vielleicht sind die moosigen Nachbarn nur einfach Sommermenschen und verkriechen sich im Winter. Oder vielleicht sind sie einfach nur so richtig krank? Oder vielleicht sind sie menschenscheu? Oder vielleicht sind sie ja doch ein ganz kleines bisschen gruselig?

Mooshaus - Kopie

Denn auch wenn hinter dem Mooshäuschen die Sonne scheint und auch wenn dort Blümchen wachsen, Rotfrau findet das Haus dennoch irgendwie unheimlich…

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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

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