Leben in Dänemark

Der Geschmack meiner Kindheit

Ich bin 42 
Ich bin früher noch ohne Anschnallgurt während der Fahrt auf der Rücksitzbank von Mamas Fiat 500 herumgehüpft, habe quietschiggrünes „Zehnerleis“, mit allen E – Farbstoffen versehen, die die Lebensmittelindustrie damals noch ungestraft verwenden durfte, in Tonnen gegessen. Ich weiß noch, was Telefonzellen und Bushäuslcliquen sind und erinnere mich an eine Zeit, in der Süßstoff in Getränken eine abartige Ausnahme und Molke schlichtweg Abfall waren.
Jede Woche musste es die Nudeln geben
Mein Vater war ganz wild nach den berühmten Spaghetti und ist es vermutlich heute noch: die mirakulöse Pasta aus der Pappschachtel mit Tomatenmark, Kräutertütchen und Käsekrümel. Dazu gab es immer rote Beete Scheibchen aus dem Glas.
Ich weiß noch ganz genau, dass wir vier Kinder uns gegenseitig am Tisch beäugten, dass nur ja keiner auch nur einen Milliliter zuviel von der quietschsauren Tomatensauce und dem steinharten, Kugelbröselkäse aus dem Tütchen nahm.
Inzwischen gibt es Zerocola, Wellnessfood mit und ohne Antioxidanzien und E4-Kindersitze.
Aber eines ist geblieben: der Geschmack meiner Kindheit 
Keine Ahnung, warum mir die Vergangenheit immer noch so schmeckt, aber ich habe heute voller Gier ungelogen vier silbrige Safttütchen mit der Sonne Capris (jetzt natürlich ohne künstliche Zuckerstoffe, Farbstoffe und so weiter) ausgetrunken und drei Teller mirakulöse Nudeln in mich hineingeschaufelt. Schmeckte gutkünstlich wie eh und je, darum ja auch derartige Mengen! Ein schlechtes Gewissen brauche ich deswegen aber nicht zu haben, denn es ist ja jetzt als viel gesünder deklariert! Steht sogar explizit auf den Packungen drauf![Können Sie mein brüllendes Gelächter hören?]
Mein Bauch ist kugelrund, mir ist gar nicht so gut, aber es hat so gut geschmeckt! Natürlich gab es rote Beete dazu und ich durfte den steinharten Bröselkäse (ist das überhaupt Käse?) komplett alleine essen. Meine Männer haben nämlich wie üblich frischen Parmesan auf ihre Nudeln gerieben. Ich sehe aus, als wäre ich im vierten Monat schwanger, aber ab und an finde ich solche geschmacklichen Ausflüge in die Vergangenheit einfach umwerfend.
Ich frage mich allerdings, wieso das Zeug genauso schmeckt wie früher, obwohl doch nun – jetzt ganz brandneu! – überhaupt keine Geschmacksverstärker, Farbstoffe, Konservierungsstoffe, künstliche Aromen oder gar Zucker (mehr?) drin sind. Und wen interessiert das eigentlich?
 

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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

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