Leben in Dänemark

Bloggeplauder: zwei Deutsche in Dänemark [2]

Es tut mir leid, dass ihr so lange auf die Fortsetzung des Bloggeplauders warten musstet. Dafür haben Stella und ich auch dieses Mal wieder das eine oder andere interessante „Geheimnis“ über das Land und die Menschen, die wir beide lieben: Dänemark und seine Dänen.
Da der Artikel direkt an den ersten Beitrag anschließt, greife ich die letzten Zeilen noch einmal auf und setze dann unsere Plauderei fort:
Da ist ein haarfeiner Unterschied zwischen „hold kæft“ (halt die Schnauze/Fresse etc.) oder „hold da kæft“ oder „hold da helt kæft“. Die beiden Letzteren sind nicht an Personen gerichtet, sondern drücken höchstes Erstaunen oder auch Entrüstung aus. Feine Sprache ist das allerdings auch nicht.
Hallo Stella!
Nein, da hast du Recht. Fein ist was anderes. Dabei legen die Dänen doch überwiegend Wert darauf, sich stets einwandfrei zu präsentieren. Emotionen oder Entrüstung in der Öffentlichkeit zu zeigen, geziemt sich anscheinend nicht. Wie ich darauf komme?
In der Arbeit haben wir vor Kurzem eine Kollegin verloren. Ihr Tod hat uns alle arg mitgenommen. Als für sie eine Gedenkfeier veranstaltet wurde – ganz großartig übrigens und mit sehr rührendem, gemeinschaftlichem Gesang – beobachtete ich die versammelte Gemeinschaft: Die Dänen pietätvoll, respektvoll zurückhaltend, ausländische Kollegen mit Taschentuch und öffentlich weinend.
Ein anderes Beispiel ist die verständnislose Reaktion der dänischen Erzieherinnen auf meine lautstarke Entrüstung. Sie waren mir zwar nicht böse, konnten jedoch überhaupt nicht damit umgehen, dass jemand völlig unverblümt reagiert, Fakten und Eindrücke konkret ausspricht und eben nicht mit höflicher Umschreibung auf den Tisch knallt. In einem Land, in dem es nicht mal ein Wort für „bitte“ gibt, selbiges mit einem „Würdest du so freundlich sein und …“ umschreibt, spricht man anscheinend in vielen Bereichen lieber „drum herum“. 
Und sie alle staunten noch mehr, als ich ihnen dann am vergangenen Dienstag in Anwesenheit der Kindergartenleiterin erklärte, dass ein Deutscher die wochenlangen Aussagen „Han har haft en god dag.“ (Er hatte einen guten Tag.) eben so übersetzt, als würden die pädagogischen Maßnahmen des sogenannten Handlungsplans (hierzu wurde ich im Februar zu drei Besprechungen mit jeweils mehrstündiger Dauer geladen) greifen. Warum sagt man mir die Wahrheit nicht im Vorfeld? Wie soll ich denn darauf reagieren, dass die Kommune nun doch eine Förderung anleiern will? Warum muss ich erneut zu zwei (!) Gesprächen in den Kindergarten kommen, damit mein Kleiner endlich die Hilfe bekommt, die schon seit Dezember in einem umständlichen Verfahren beantragt wurde, dann als vorerst nicht notwendig und nun offenbar als sogar dringend notwendig von der Kommune genehmigt und NACH einem erneuten Gespräch begonnen wird.
Ich dachte, ich spinne und offenbar dachten das die Dänen auch von mir – der gsM schmunzelte. 
Aber egal, alles wird nun gut und ich muss nicht nochmals an stundenlangen Diskussionen teilnehmen, die dann in einem freudestrahlenden „Tak, det var godt!“ (sinngemäß: Danke, das war ein gutes Gespräch) enden. Und das gestrige „Han har haft en god dag!“ wurde nicht nur genauer erläutert, sondern vom Kind im Auto freudestrahlend bestätigt ❤.
Die finnische Freundin sagte vor einer Weile zu mir, dass die Dänen nur mit Alkohol lockerer sein würden. Nur dann seien sie in der Lage, Emotionen zu zeigen und auch mal deutlicher zu werden. Als offen würden wir beide die Dänen nicht bezeichnen.
Stimmt das, oder ist das ein Vorurteil, welches ich mir aufgrund persönlicher Erfahrungen soeben zusammengebastelt habe? Freundlich und sehr zuvorkommend sind sie doch! Uns wurde und wird immer und jederzeit gerne geholfen!  
Jo, sie sind auf den ersten Blick sehr offen, aber das ist oberflächlich. Aber mich wundert das mit dem Kindergarten doch, denn normalerweise haben die Dänen kein Problem damit, Klartext zu reden. Da haben eher die Schweden ein Problem mit.
Allerdings, einen Dänen auf eine klare Aussage festzunageln ist ziemlich schwierig, man will sich nicht festlegen, dann können hinterher keine Beschwerden kommen.
Das mit einer klaren Aussage macht sich besonders beim Bestellen von Handwerkern bemerkbar. Man bekommt nur Zeiten „von … bis“, die dann einen Zeitraum von mindestens 4 Stunden umfassen. Ich habe dann teilweise schon gesagt, dass ich von der Arbeit freinehmen muss und so eine lange Zeitspanne nicht vereinbaren könnte. Oder einem, der auf meine Frage „kommen Sie denn nun vor 14.00 Uhr?“ antwortete: „det går jeg ud fra“ (da gehe ich von aus). Das genügt mir nicht. Wenn ich schon frei nehme, will ich es genau wissen. Es endete damit, dass ich ihm sagte, wenn er auch nur eine Minute nach 14.00 Uhr käme wäre ich nicht mehr zu Hause. Er kam vorher! Geht doch!  😉    Eigentlich eine etwas orientalische Einstellung: Ich bin bis 14.00 Uhr da, so Gott will!
Aber die Dänen sind nicht besonders religiös, jedenfalls nicht die Allgemeinheit. Es gibt puritanische Minderheiten, die sehr streng leben, z. B. Innere Mission, die sehr stark an der jütländischen Westküste vertreten ist, und dann habe ich auch schon einige Siebenten-Tags-Adventisten getroffen. Aber im Großen und Ganzen wird man zwar konfirmiert mit Pomp und Pracht und heiratet mit noch mehr Pomp und Pracht, aber das war’s dann auch schon. Die Dänen lieben es, sich und andere zu feiern, besonders im Kreise der Familie, das ist immer noch sehr ausgeprägt. Für mich als typischer Stadtmensch war das ungewohnt, aber irgendwie finde ich es auch toll, dass der Familienzusammenhalt hier so stark ist. Da kommen wir übrigens wieder ganz nahe ans Thema Alkohol … 😉   Hast du da schon Erlebnisse zu gesammelt?
Jawohl, das Sichselbstfeiern ist hier deutlich sichtbar! Gestern war übrigens in unserem Stadtteil Konfirmation und überall wedelten die Fahnen, auch an den Straßen:
Fahnen
Ich finde es schon schön, dass zu jedem Geburtstag und zu allen besonderen Feierlichkeiten, die in einer Familie stattfinden, die Fahne hochgezogen wird. Sogar im Todesfall wird mit der Fahne „gearbeitet“: Halbmast bis zur Beisetzung und im Anschluss weht sie dann wieder ganz oben.
Am offiziellen Flagdag, also am 5. Mai (Dänemarks Befreiungstag), wehten nicht annähernd so viele Flaggen wie am Sonntag. Und ehrlich gesagt finde ich die selbstbewusste Einstellung der Dänen zu ihren Familien toll und nachahmenswert: Familie ist das Wichtigste! 
Heute feierte übrigens eine Kollegin ihren Geburtstag und natürlich standen Fähnchen im Gemeinschaftsraum und natürlich wurde der obligatorische Matschkuchen mit Marzipan und Gummibärlis serviert. Ich klaute mir wie immer nur die grünen Gummibärchen runter, mir liegt so ein Brunsviger-ungeheuer nämlich immer zu sehr im Magen. Aber grüner Weingummi ist unwiderstehlich… Ich weiß nicht, ob das in deiner Arbeit so üblich war, aber wenn ein Kollege einen Runden feiert und Geschenke bekommen hat, dann folgt spätestens am nächsten Tag eine Dankesemail mit einer exakten Auflistung aller erhaltenen Sachen inclusive Fotos! Das finde ich schon ziemlich lustig. Tak for sidst!
Und was das mit dem Alkohol angeht, sind der gsM und ich derzeit am Testen von dänischem Bier. Hier gibt es für einen Bayern nämlich arg gruselig anmutende Gebräue, die wir unbedingt mal probieren müssen. Natürlich werde ich hier davon berichten. Wir sind ja neugierig ? Alkohol gibt es immer und überall, sogar in der Schule! Mein Großer hat jeden letzten Freitag im Monat das sogenannte „Freitagscafé“. Die mitgebrachte Fahne zeigte mir aber mehr als deutlich, dass da tatsächlich Bier an Schüler verkauft wird! Am Nachmittag!? Zugegeben, an dänischen Gymnasien sind mehr erwachsene Schüler als Jugendliche, aber an deutschen Schulveranstaltungen durften nicht einmal die Eltern ein Gläschen trinken! Wie das mit dem Rauchen auf dem Schulgelände ist, weiß ich nicht, denn Gottseigepriesen, mein umwerfendes Kind ist schlauer als seine Mutter und raucht nicht ❤ 
Den Abschluss der folkeskole feiern die Schüler ausgiebig und ich sah im Sommer 14/15-jährige Absolventen mit reichlich alkoholischen Einkaufswägen (!) in Richtung Park pilgern. Saufen am helllichten Tag stört hier offensichtlich keinen, es gibt schließlich einen Schulabschluss zu feiern!
?!
Und am Abend wurde dann noch eine ordentlich (be)rauschende Party gefeiert, die sogar von Eltern beaufsichtigt wurde! Ich war stinkesauer und habe einen herumpatrouillierenden Vater auf extrem deutsche Art angebrüllt, als ich mein Kind in der Nacht abgeholt hatte. Da hört sich bei mir jedwedes Kulturverständnis auf!
„Nå, så er det!“ war die schmunzelnde Reaktion meines Nachbarn, als ich ihm von den wirklich vielen volltrunkenen Jugendlichen dort erzählte… Apropos Nachbarn! So richtig kennen gelernt haben wir die alle bei einem Straßenfest. Ich wurde glücklich umarmt, auf die Wange geküsst, vollgelabert und vom torkelnden Rasenmähermann beinahe umgerissen. So können die auch, die Dänen. Skål!
Jaja, du siehst, ich kann da ordentlich aus dem Nähkästchen plaudern! Und was Religiosität angeht, sag ich nur: Den Rasen am Sonntag zu mähen ist nicht ungewöhnlich, der Rasenmähermann macht das immer so ….
Jo, Alkohol ist hier eine allgemein anerkannte und tolerierte Droge. Eigentlich darf man erst ab 18 Jahren Alkohol und Zigaretten kaufen, aber dann schicken die Jungen halt einen älteren Bekannten in den Laden. Zur Volksgesundheit trägt es sicher nicht bei. Es scheint leider ein Volkssport unter den Jugendlichen zu sein, sich besinnungslos zu saufen. Mein Mann sagt, dass es in seiner Jugend genauso war. Aber bei Cannabis stellen sie sich an und setzen es auf dieselbe Stufe wie Heroin, Kokain etc.
Was Religion anbelangt, habe ich mich sehr gewundert, als bei einer Konfirmation die Pastorin in der Predigt erwähnte, dass es nichts Mystisches im christlichen Glauben gäbe (das war in einer dänischen Volkskirche, die ja wohl protestantisch ist). Im nächsten Moment lud sie dann zum Abendmahl ein mit „dies ist mein Blut, dies ist mein Körper“ …
Aber ich möchte noch etwas anführen, das ich absolut großartig finde in Dänemark, nämlich, dass überall an Wander- und Radwegen und auch Landstraßen in regelmäßigen Abständen und an naturschönen Stellen Picknicktische und –bänke zu finden sind. Nicht immer mit Abfalleimer, aber man erwartet dann eben, dass man seinen Müll wieder mitnimmt.
Überhaupt sind Naturschützer sehr stark in Dänemark. Wenn Leute wirklich von etwas überzeugt sind, machen sie Aufrufe, sammeln Unterschriften und schließen sich in Interessengemeinschaften zusammen. So wurde, wenn ich es richtig verstanden habe, auf Grund von großem Aufruhr in der Bevölkerung in Nordjütland das Fracking gestoppt. Es ist zwar immer noch nicht verboten, aber soweit ich weiß wurde es im August 2015 aufgegeben.
Und bei uns wurde der seit 1972 als Tiergehege eingerichtete südliche Teil des Slotved Waldes in Sindal durch Bürgerabstimmung als Tierschutzpark für Dam- und Rotwild beibehalten, anstatt das Gebiet für die Jagd freizugeben.
Solche aktiven Bürgerinitiativen habt ihr sicherlich auch im Store Vildmose, nehme ich an.
Fortsetzung folgt…
 

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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

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